Hermann Lüdeking alias Roman Roszatowski
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Aus Lodz wurden Sie gewaltsam verschleppt und wissen
bis heute nichts über Ihre leiblichen Eltern, die vielleicht von den Nazis
ermord et wurden. Sie leben heute in dem Land, das Ihnen dieses Verbrechen
angetan hat. Was für ein Gefühl ist das?
Hermann Lüdeking: Sehr schlechtes Gefühl, da ich nicht
weiß wer ich bin.
Gewaltsam wurde ihr polnischer Name Roman Roszatowski
in Hermann Lüdeking geändert. Heute heißen Sie Hermann Lüdeking. Wie gehen Sie
damit um, dass Ihnen die Nazis eine neue Identität verliehen haben?
Hermann Lüdeking: Ich konnte mich ja nicht wehren. Bin aber froh,
dass ich überhaupt einen Namen habe. Denn laut dem polnischen Roten Kreuz hat
der polnische Name Roszatowski nie existiert.
Kann man sich als geraubtes Kind aus Polen überhaupt
als „Deutscher“ fühlen? Fühlt man sich hierzulande wohl, wenn das eigene
Schicksal nicht anerkannt wird?
Hermann Lüdeking: Ich kenne meine wahre Identität nicht, deswegen
bin ich zwangsläufig Deutscher. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
Können Sie beschreiben, was es bedeutet, wenn man ein
Leben lang nach seinen elterlichen Wurzeln und der eigenen Identität sucht?
Hermann Lüdeking: Ein ganzes Leben lang suche ich nach meinen
Eltern und habe sie nie gefunden. Innerlich frage ich mich: wer ich bin? Woher
komme ich? Wer sind meine Eltern? Und ich, weiß dass ich darauf nie eine
Antwort finden werde. Bis heute plagen mich diese Gedanken.
Welche seelischen und gesundheitlichen Schäden trugen
Sie infolge der gewaltsamen Verschleppung als Kind davon?
Hermann Lüdeking: Eine schwere TBC, die später durch zwei Kuren in
Deutschland – einmal sechs Monate und drei Monate – in einer Nachkur geheilt
wurden. Immer noch habe ich Angst vor Dunkelheit, wenn ich in einem Keller bin.
Warum fühlen Sie sich als Opfer des Naziterrors? Warum
steht den gewaltsam verschleppten Kindern gleichermaßen eine Entschädigung zu,
so wie anderen NS-Opfern auch?
Hermann Lüdeking: Ich habe mich nicht anders gefühlt
als Juden oder Zwangsarbeiter, die verschleppt wurden. Mein ganzes Leben habe
ich den Raub nicht aus meinem Kopf bekommen. Uns geraubte Kinder hat der
Deutsche Staat im Stich gelassen. Norwegen hat Geld für die Lebensbornkinder
von der BRD bekommen. Warum wir nicht?
Geburturkunde
von Hermann Lüdeking, die vom SS Verein Lebensborn gefälscht
wurde, um die wahre Identität zu verschleiern. Die Namen seiner
Eltern wurden auf der Geburtsurkunde durchgestrichen, um so zu
dokumentieren, dass es sich um ein Waisenkind handelte.
Sie waren vor über 70 Jahren Opfer einer „staatlich
organisierten“ Kinderentführung, weil Sie für die Nazis als „rassisch wertvoll“
galten. Wie fühlt man sich, wenn man für dieses menschliche Verbrechen immer
noch nicht von staatlicher Seite als Opfer anerkannt wird?
Hermann Lüdeking: Vergessen, verloren und im Stich gelassen.
Zwischen 50.000 und 200.000 Kinder wurden
alleine aus Polen entführt und „eingedeutscht“. Denken Sie es gibt Gründe,
warum die Politik bewusst zur „Zwangsgermanisierung“ schweigt?
Hermann Lüdeking: Weil die BRD nichts davon wissen will. Es könnte
ja etwas Geld kosten, obwohl in der Zwischenzeit viele verstorben sind.
Was unternahmen Sie alles in der Vergangenheit, um
eine Wiedergutmachung für die geraubte Kindheit und den Verlust der eigenen
Eltern zu erreichen?
Hermann Lüdeking: Ich habe unter der Auftragsnummer 1107466 bei der
IOM in Genf einen Antrag gestellt und alle meine Unterlagen dorthin geschickt.
Es wurden ja 70 Milliarden Euro für die Opfer des Krieges bereitgestellt.
Zwangsarbeiter und Juden erhielten eine Entschädigung. Für die geraubten Kinder
aus den Ost-Staaten war angeblich kein Geld mehr da.
Was empfinden Sie, wenn Ihnen das
Bundesfinanzministerium unter Führung von Wolfgang Schäuble CDU – trotz voller
Staatskassen - nach 70 Jahren immer noch eine finanzielle Entschädigung
verweigert?
Hermann Lüdeking: Man hat uns einfach vergessen! Schlichtweg
ignoriert. Es ist für die BRD eine traurige Sache und pure Ignoranz. Hauptsache
die "Herren" haben einen Posten. Aber das Schicksal der geraubten
Kinder ist ihnen völlig egal. Für mich haben diese Herren kein Gewissen, die
uns geraubten Kinder eine Entschädigung vorenthalten.
Was würde für Sie eine Wiedergutmachung bedeuten? Wie
sollte diese aussehen?
Hermann Lüdeking: Ich wäre schon froh, wenn das Schicksal der
geraubten Kinder anerkannt würde. Eine Entschädigung von 2000 bis 3000 Euro
wären schon angemessen. So wüsste ich wenigstens, dass wir geraubte Kinder
nicht vergessen sind. Leider sind viele still, stumm und schweigen über
ihr Schicksal, weil sie wissen, dass die BRD nichts für uns tut. Viele von uns
leiden auch heute noch seelisch - auch ich - unter den Folgen der gewaltsamen
Entführung der Nazis.
Lesen Sie auch die Biografie von Halina Bukowiecka.
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